Editorial
Reisende, die nach Belgien kommen, begreifen rasch, wie ungenügend sie eigentlich auf Sitten und Gebräuche vorbereitet sind. Ins erste Fettnäpfchen traten wir vor Jahren in einer Bar in Antwerpen, als wir das Bier auf Französisch bestellten. Dies taten wir – vom frankophonen Brüssel her kommend – ganz arglos. Doch der angriffige Blick des Barkeepers sprach Bände. Die Menschen aus Flandern sehen sich in erster Linie als flämisch. Auf die Frage, woher er oder sie kommt, würde ein stolzer Flame eher «Antwerpen» oder «Gent» antworten als «Flandern». Praktisch alle Frankophonen, auch aus dem ländlichen Wallonien, fühlen sich jedoch einfach als Belgier. Und es wird noch vertrackter: Wie wir erfuhren, geben sich manche Wallonen, die zu Besuch in der standhaft flämischen Universitätsstadt Leuven sind, in der Öffentlichkeit lieber als Touristen aus und sprechen Englisch, als dass sie ihren französischen Akzent im Flämischen preisgeben würden.
Die lange Tradition als Handels- und Kulturnation, die jahrhundertelange Fremdherrschaft und der Zwang, sich immer wieder anzupassen, haben das belgische Volk nachhaltig geprägt. Die Suche nach einem Ventil für individuellen Ausdruck brachte nicht nur weltbekannte Künstler und Designer wie Peter Paul Rubens, René Magritte und Dries van Noten hervor. Es scheint auch an der kollektiven DNS zu liegen, dass sich die Belgier kreativ ausdrücken wollen. Haus und Garten nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten, ist in Belgien das höchste der Gefühle. «Jeder macht dabei seine eigenen Fehler», gab uns eine reizende Gartenbesitzerin mit auf den Weg. Diese ebenso bescheidene wie selbstbewusste Haltung zeigt die Lust der Menschen, ihre Individualität als Form von Lebenskunst zu feiern.
Und nun wünschen wir Ihnen schöne Entdeckungen.
Simone Quast und Gianni Bombèn