Editorial
Mit liebevollem Blick haben wir diese Ausgabe dem Gebiet von Bellinzona, Lugano, dem Malcantone und dem Mendrisiotto gewidmet. Dabei stellten wir fest: Es bedarf vieler Besuche und Begegnungen, bis das Auge in der Lage ist, das Schöne aus dem wuchernden Dickicht des Profanen zu schälen. Gerade im Tessin. Bestes Beispiel hierfür ist die geschichtsträchtige Villa Negroni in Vezia/Lugano, die in einsamer Pracht an einem Verkehrskreisel liegt.
In diesem bedeutenden Landsitz entwickelte sich die Brieffreundschaft einer Tessiner Adligen mit dem Komponisten Giuseppe Verdi, die beinahe 60 Jahre lang währte. Der Austausch mit Gleichgesinnten in der Fremde scheint ein Ur-Bedürfnis der Tessinerinnen und Tessiner zu sein. «Für viele von uns ist das Tessin ein Ort des Transits. Wenn möglich studierst du in Mailand oder Zürich, und wenn du wieder heimkommst, pflegst du Kontakte in die ganze Welt» erzählte uns der Schriftsteller Andrea Fazioli (*1978) aus Bellinzona. «Die jüngeren Generationen verspüren das Bedürfnis, die Werte und die Lebenswelt ihrer Grosseltern wiederzuentdecken – eine Suche nach dem Ursprung der Heimat», hörten wir von der Direktorin des Museo dei Cedri, Carole Haensler Huguet. «Die Tessiner sind in Familienclans organisiert, und nichts ist ihnen heute wichtiger als der historische Grundbesitz in den Tälern». Ein Beispiel für diese neu erstarkte Heimatliebe mag sein, dass seit gut 25 Jahren die geschichtsträchtigen Edelkastanienhaine mit grossem Aufwand saniert werden und die Marroni eine Renaissance erlebt. Ein Stück Ur-Tessiner Identität mit grossem Symbolwert.
Und nun wünschen wir Ihnen schöne Entdeckungen.
Simone Quast und Gianni Bombèn